Feierliche
Eröffnung des HumanistenTag 2018.
Ansprache von Giulio Ercolessi.
Eine biografische Skizze
Giulio
Ercolessi wurde 1953 in Triest geboren. Um 1968 trat er als
Student erstmals öffentlich in
Erscheinung und äußerte seine kritische Haltung
gegenüber der 68er-Bewegung in
Italien sowie deren Mythos der “Direkten
Demokratie” und deren tatsächlichen
ideologischen Unterordnung unter die kommunistische Kultur. Zugleich
kritisierte er die konträren Aufrufe zur hierarchischen,
traditionalistischen,
klerikalen und neofaschistischen Ordnung. Seine ersten politischen
Erfahrungen
sammelte er ab 1969 in
den
Jugendbewegungen der Liberalen Partei Italiens (Partito Liberale
Italiano) und der Union der Europäischen
Föderalisten. Anschließend kam er über den
linken Flügel der Liberalen, das
Bündnis für das Scheidungsgesetz und das
Bündnis zur Abschaffung des
Konkordats, in Kontakt mit der Radikalen Partei (Partito radicale), der
er 1971
beitrat. Von 1971 bis 1980 war er (mit einer kurzen Unterbrechung)
Mitglied der
Radikalen Partei und von Beginn an auch in deren Vorstand. Dabei
übernahm
Ercolessi mehrere Posten, darunter auch 1973-74 das Amt des
Generalsekretärs
der Partei, zur Zeit des Scheidungsrechts
Referendum (im Alter von 20 Jahren, während das
Durchschnittsalter der Partei damals
bei 22 Jahren lag; in den ersten zwei Monaten der Amtszeit war er nach
damaligem italienischen Recht, welches die Radikale Partei kritisierte,
noch
minderjährig). In den folgenden Jahren kritisierte
er ab
1974 als Vorsitzender der parteiinternen Opposition den Vorstand der
Radikalen
Partei insbesondere für seine Entscheidung gegen fester
organisierte Strukturen
sowie ideelle und kulturelle Ausgeprägtheit in der
Parteipolitik, wodurch laut Ercolessi die
Chance vertan wurde, die Partei zur fortschrittlichen liberalen Partei
Italiens
zu entwickeln. Stattdessen behielt sie den Charakter einer Bewegung
bei, die
den ständig wechselnden Prioritäten eines
charismatischen Anführers unterworfen
blieb. Dennoch unterstützte Ercolessi strategische Versuche
einer wiederholten
Zusammenführung von Liberalen, Radikalen und Sozialdemokraten
im politischen
Geschehen Italiens und distanzierte
sich
von den unregelmäßigen Annäherungen
zwischen der Führung der Radikalen Partei
und unkonventionellen Strömungen der Neo-Kommunistischen
Linken in den
siebziger Jahren. Später widersprach er der Wende der
Radikalen
Partei, ihr gesamtes Bestreben ausschließlich auf den
globalen Kampf gegen die
Hungersnot zu richten, der sich in enger Zusammenarbeit mit der
katholischen
Kirche und dem Papst vollziehen sollte, was zwangsläufig
für die Dauer von
zwanzig Jahren jegliche Initiativen zu säkularen Rechten
ausschließen sollte
(darunter auch jegliche Vorschläge zur unautoritären
Geburtenkontrolle). Zur Zeit
der kontroversen
Debatten über den Vertrag von Osimo zwischen Italien und dem
ehemaligen Jugoslawien sowie der konsequenten Ablehnung bei der
Abstimmung in
Triest (deren umweltschützende, sozioökonomische und
demokratische Ansichten er
teilte, während er den nationalistischen widersprach), war
Ercolessi drei Jahre
lang Stadtrat in Triest für die Radikale Partei. In den Jahren
seines
politischen Engagements wurden seine Artikel in der Zeitschrift
“Notizie
radicali” der Radikalen Partei sowie in den Magazinen
“La prova radicale”,
“Argomenti radicali” und “Quaderni
radicali”, der Triester Tageszeitung “Il
Piccolo” und den nationalen Zeitungen “Il
Mondo”, “Il Manifesto”, “Pace e
guerra”, “Contatto”
veröffentlicht.
1982
zog Ercolessi
sich aus der aktiven Politik zurück. Zum einen war er überzeugt
davon, dass jeglicher Widerstand gegen die vollzogenen
Veränderungen der
Radikalen Partei in naher Zukunft aussichtslos war, zum anderen stellte
er
fest, dass er sich selbst immer mehr von den vorherrschenden
politischen
Kulturen in der italienischen Gesellschaft entfernte. Sein Vertrauen in
die
Fähigkeiten und das Berufsethos der in den italienischen
Medien tätigen in
ihrer unersetzlichen Rolle als Mediatoren zwischen der Politik und der
öffentlichen Meinung schwand immer mehr. Zudem wurde ihm
bewusst, dass er sich
nicht mit der strukturellen Veränderung anfreunden kann, die
die Politik in den
letzten Jahrzenten erlebt hat und sie in ein reines Showbiz verwandelt
hat.
Seitdem wurden seine Texte, Artikel und Gesetzesentwürfe nahezu
ausnahmslos unter
einem Pseudonym veröffentlicht (von denen er viele nicht
selten
freiwillig anderen Autoren abtritt). Ercolessi beschäftigte
sich weiterhin mit
Bürgerrechten, des Säkularismus der
öffentlichen Instanzen, dem Liberalismus,
der Idee des Europäischen Föderalismus, dem
ethisch-politischen Verhältnis
zwischen Italien und dem Westen sowie dem Verhältnis zwischen
Geschichte,
Erinnerung und Politik in den Grenzgebieten im Nordosten Italiens, der
Gesundheitsreform. Er beteiligte sich im zivilen Widerstand gegen den
Anstieg
von Populismus, Antiliberalismus, organisierter Kriminalität,
Klerikalismus,
Xenophobie, Homophobie und Antieuropäismus in der
italienischen Gesellschaft in
den letzten 25 Jahren. Von 1999 bis 2013 hat er mit Eifer seine
Mitarbeit an
dem Magazin “Critica liberale” wieder aufgenommen,
dessen Anfänge ins Jahr 1969
reichen, als die “Critica liberale” nur die
Nachrichtenagentur der gleichnamigen
Fraktion der Liberalen Partei Italiens (PLI) war. Schon damals von
Enzo
Marzo als Chefredakteur geleitet, wurde das Magazin
anschließend die offizielle
Schrift der Fondazione Critica liberale, einer
von jeglichen politischen
Parteien unabhängigen Stiftung, die eines der
Gründungsmitglieder des
Europäischen Liberalen Forums “European Liberal Forum” ist, einer Organisation, die
liberale europäische Stiftungen und Studieneinrichtungen
vereinigt.
Ercolessi war im Rahmen der Fondazione
Critica
liberale aktiv - in der Stiftung selbst leitete
er mit Francesco Gui und Beatrice
Rangoni Machiavelli die Redaktion der föderalistisch
geprägten Zeitschrift “Gli
Stati Uniti
d’Europa”, die “Vereinigten Staaten
Europas”, die als Beiheft zur monatlichen
Zeitung der Stiftung erscheint. Ercolessi ist einer der Initiatoren von
italialaica.it und des Vereins Società Pannunzio per
la
libertà d’informazione (Pannunzio Gesellschaft für
Informationsfreiheit),
zudem beteiligte er sich an der Zeitschrift
“MicroMega” und der italienischen
Version von “Lettre International”, dem
Monatsmagazin “Confronti” sowie als
Kommentator für die Außenpolitik bei der
Tageszeitung “Il Secolo XIX” in Genua.
Im März 2009 veröffentlichte er
beim Verlag Dedalo
das Buch “L’Europa
verso il suicidio? Senza
Unione federale il destino degli europei è segnato”
(“Europa vor dem Abgrund? Ohne eine Föderale Union ist das
Schicksal der Europäer besiegelt”).
Im April 2015 veröffentliche er beim
Verlag Aracne
das Buch “Sfascismo costituzionale. Come
uscire vivi da un
azzardo
politico temerario. Una proposta liberale”, das ein
Vorwort
des
Präsidenten der ALDE-Partei Sir Graham Watson und im
einen Anhang eine italienische Übersetzung des Vortrags
“Liberalismus
und
Definitionen” enthält (Link hier auf Englisch). Der
Titel des
Buches stellt
ein Wortspiel dar, das nicht
übersetzbar ist: “Das Zerschlagen der Verfassung.
Wie man sich lebendig aus
einer rücksichtslosen politischen Wette rettet. Ein liberaler
Vorschlag”.
Im September 2012 wurde er in den Vorstand des
Europäischen
Liberalen Forums (ELF) gewählt, der
gemeinnützigen Organisation,
die die mit der Partei der Europäischen Liberalen (d.h. der
ALDE-Partei,
Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa,
früher ELDR) verbundenen
Forschungszentren und Stiftungen wieder zusammenführt. Er
wurde im September
2014 für die laut Statut zulässige zweite Amtszeit
von zwei Jahren
wiedergewählt.
Im Mai 2013 wurde er in den Vorstand der European
Humanist Federation (EHF) gewählt, der
größten Dachorganisation europäischer
humanistischer und säkularer Vereinigungen, die sich
für die Gleichbehandlung der Ungläubigen und die
Trennung von
Religion und öffentlichen Institutionen einsetzt. Das war die
größte der “nicht konfessionellen
philosophischen” Organisationen, die am Dialog
gemäß Artikel 17 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union teilnehmen. Im Mai 2016
wurde er zum
Vizepräsidenten der EHF gewählt und war von Mai 2017
bis Mai 2020
deren Präsident.
Im Juli 2013 wirkte er an der Gründung von LibMov mit, einem Forschungszentrum, das eine Wiedervereinigung der italienischen Liberalen, die sich auf die ALDE-Partei berufen, unterstützen sollte und wurde Direktor und Mitglied dessen Exekutivkomitees.
Im Privatleben ist Giulio Ercolessi Mitglied des Verwaltungsrates der Unternehmen Policlinico San Marco SpA, COF Lanzo Hospital SpA und Campolongo Hospital SpA, die private Krankenhäuser in Absprache mit dem öffentlichen Gesundheitswesen in Mestre (Venedig), Lanzo d’Intelvi (Como) und Marina di Eboli (Salerno) verwalten.
Feierliche
Eröffnung des HumanistenTag 2018.
Ansprache von Giulio Ercolessi.